20. April 2015

Interview mit chinesischen Genossen

Vor ein paar Tagen hatten wir in Berlin Besuch von jungen chinesischen Genossinnen und Genossen. Bei dieser Gelegenheit kam ein kleines Interview mit ihnen zustande. In ihrer Heimat sind sie Mitglieder einer oppositionellen „K-Gruppe“, die sich laut ihnen am MLM orientiert, seit einigen Jahren versucht revolutionäre Politik zu entwickeln und ihren Schwerpunkt an einer Universität in einer chinesischen Großstadt hat.

Ihre Antworten geben nicht unbedingt unsere Einschätzungen und Positionen wieder. Wir lassen die Genossen an dieser Stelle jedoch unkommentiert zu Wort kommen. Stimmen chinesischer „Linker“ abseits des von anderen imperialistischen Staaten hofierten Liberalismus sind im deutschen Sprachraum selten genug zu vernehmen.




Wer seit ihr und wie sieht eure Praxis und Perspektive aus?

Wir sind eine marxistische K-Gruppe an einer Universität in xxx. Wir arbeiten seit einigen Jahren daran den Studenten wieder den wahren Marxismus, den wahren Leninismus und die wahre Geschichte der Kulturrevolution nahezubringen. Mit vielen Positionen können und dürfen wir aber nicht offen auftreten. Die Repression ist sehr groß. Wir führen geheime Schulungsveranstaltungen durch. Außerdem veranstalten wir eine Abendschule für Arbeiter und Angestellte der Universität.
Wir „dienen dem Volke“ aber auch ganz konkret indem wir z.B. den Putzfrauen an der Uni, die für vermeintliche „Fehler“ bestraft werden indem ihr Lohn einbehalten wird, dabei helfen ihren Lohn einzufordern. Wir veranstalten auch einen Liederabend, eine Art Konzert. Zu dem laden wir Bauarbeiter und fortschrittliche Studenten ein und helfen uns und ihnen sich marxistisch zu erziehen.
Unsere Arbeit entwickelt sich im Allgemeinen gut. Wir werden stärker und mehr.


Gibt es andere Gruppen wie eure?

Es gibt solche Gruppen wie unsere oder Ähnliche in jeder großen Stadt und in fast jeder Universität.
Alle Revolutionäre akzeptieren den Vorsitzenden Mao als höchste Stufe des Marxismus, aber es gibt welche die sich auf den Marxismus-Leninismus-Mao-Tse-Tung-Gedanken und welche die sich auf den Marxismus-Leninismus-Maoismus berufen. Verschiedene Zirkel haben manchmal verschiedene Ansichten, allerdings treten die Widersprüche oft nicht an der politischen Selbstverortung, sondern in der Praxis auf. Man erkennt in der Arbeit wer die Fortschrittlichen und wer die Rechten sind.


Wie schätzt ihr Staat und Gesellschaft in China heute ein?

In China herrscht totale Ausbeutung und ein entwickelter Kapitalismus/Imperialismus. Aber dass viel chinesisches Kapital im Ausland ist, wissen viele Chinesen gar nicht. Es gibt sehr viele Arbeitskämpfe und Streiks. Die Massen kämpfen oft spontan und ohne klare Führung gegen die Kapitalisten. Die Kommunisten beteiligen sich daran. Viele Kapitalisten rufen bei Arbeitskämpfen nicht die Polizei, sondern die Mafia – einfach weil die billiger ist. Die verkleidet sich als Polizei und zerschlägt dann den Protest. Du weißt nie ob der Uniformierte vor dir Polizist oder Mafiosi ist.
Es gibt eine sehr hohe Obdachlosigkeit, viele schlafen in Bahnhöfen und leeren Gebäuden. Und es gibt auch eine sehr hohe Selbstmordrate, aber wir kennen eher keine Drogenprobleme. Dafür fehlt auch einfach das Geld.


Welche Art Revolution ist nötig?

Zur Frage der Revolution gibt es in Chinas Linken zwei bzw. drei Linien:
Die erste sagt es muss jetzt wieder eine gewalttätige sozialistische Revolution durch das Proletariat geben. Die zweite sagt es muss erstmal eine demokratische Revolution unter der Führung der Arbeiterklasse gegen die “Kommunistische“ Partei Chinas geben. Die dritte sagt man muss die jetzige KPCh bewahren und zurückerobern, wobei wir diese Linie für offen reaktionär halten.


Wie ist die Jugendkultur in China?

Die Punkkultur und ihre Musik sind von kleinbürgerlichen Studenten, nicht vom Proletariat. Es gibt so gut wie keine Graffiti und die Jugend hört vor allem Populärmusik. Aber eigentlich alle Jugendlichen aus Arbeiterfamilien sind pro Mao.


Was hatte es mit der MKPCh (Maoistische Kommunistische Partei Chinas) auf sich, die um 2008 kurz in den Medien war und zur Revolution in China aufrief?

Das war ein Ausdruck des innerparteilichen Kampfes in der KPCh. Ein eher „Linker“ KPCh-Kader - linker als die Regierenden, aber noch immer Revisionist – wollte an die Macht.


Wie sieht es mit internationalen Einflüssen auf die revolutionäre Bewegung in eurem Land aus?

Die Regierungsmedien berichten natürlich nichts über ernsthafte revolutionäre Bewegungen im Ausland. Auch viele Informationsbeschaffungsmedien wie Facebook, Twitter oder Youtube gibt es bei uns nicht. Demzufolge schlecht.
Von der philippinischen Revolution haben wir tatsächlich erst in Europa erfahren, vom Volkskrieg in Indien erst durch den Spielfilm Chakravyuh. Auch Kämpfe wie in Kurdistan und Irland waren bei uns unbekannt. Aber jetzt werden wir mit vielen starken Eindrücken und neuen Inspirationen zurück nach China gehen!